Der "Schnadgang" in Brilon

Ein altwestfälischer Volksbrauch


Die an einigen Orten noch üblichen Grenz- oder Schnadenzüge haben in der neueren Zeit, namentlich in der Gemeinde Brilon, zur Verübung mehrer grober Exzesse Veranlassung gegeben. Da derartige Züge in der jetzigen Zeit keinen Nutzen mehr gewähren, weil bei der vollendeten Katastrirung des Grund und Bodens eine Verdunklung der Grenzen nicht leicht möglich ist, eintretendenfalles aber ohne Theilnahme der einzelnen Gemeindeglieder von den Behörden gehoben werden kann, so werden diese bisher an einigen Orten noch üblichen Grenzzüge, in Folge Bestimmung des Königlichen Minsterium des Innern und der Polizei ganz untersagt, und sämmtliche Ortsbehörden sowie die Königlichen Landräthe unseres Bezirks hiedurch angewiesen, Niemanden zur Veranstaltung eines Grenzzuges, welcher die Begehung einer Jagd-, Gemarkungs- oder Gemeindegrenze durch die Gemeindeglieder oder sonstiger bei Feststellung der Grenzen nicht interessirter Personen zum Zweck hat, die Erlaubnis zu ertheilen.

Zugleich wird bestimmt, daß Derjenige, welcher ohne Erlaubnis einen derartigen Grenzzug veranstaltet, in eine Polizeistrafe von 50 Thlr. oder 4 Wochen Gefängnis, Jeder aber, welcher daran Theil nimmt, in eine Polizeistrafe von 1 bis 5 Thlr. oder Gefängnis von 2 bis 8 Tagen verurtheilt werden soll.

Arnsberg, den 3. Februar 1841

Anmerkung: Für die Stadt Brilon wurde dieser Volksbrauch ausnahmsweise im Jahre 1848 durch den preußischen König, Friedrich Wilhelm IV., aus besonderer Gnade wieder gestattet.



Aus Josef Lappe, "Der Schnadgang..." sei hierzu folgendes auszugsweise und zusammenfassend zitiert:

Von Zeit zu Zeit berichten Zeitungen, daß irgendwo in Westfalen wieder ein Schnadzug geplant ist oder schon stattgefunden hat. Zum Verständnis der Leser muß dann eine Bedeutung des Namens beigefügt werden, daß nämlich ein Zug um die Grenze einer Stadt- oder Dorfmark darunter zu verstehen ist. Schon hieraus sowie aus der Tatsache, daß die Presse darauf aufmerksam macht ergibt sich, daß der Schnadzug aus dem Volksleben verschwunden ist und, wenn er sich in einem Orte bis in die Gegenwart erhalten hat oder wieder aufgelebt ist, als fremdartige Einrichtung erscheint, die heute Sinn und Bedeutung verloren hat. Und doch gab es in den vergangenen Jahrhunderten kein Dorf und keine Stadt, keine Markgenossenschaft, die nicht zur Wahrung ihrer Rechte die Grenzen ihres Gebietes umritten und umschritten hätte.

Der Schnadgang diente dem Grenzfrieden. Wenn Grenzzeichen verschwanden, wurde versucht, durch Aussagen der alten Leute und aus den letzten Spuren die alte Schnad wiederherzustellen. In den Berichten begegnen uns Ausdrücke wie: Ein Baum wurde "geschnadet", d.h. es wurden Zeichen, z.B. ein Kreuz hineingeschnitten. Fehlten Bäume wurden auch Schnadsteine gesetzt.

Die Schnad mußte den Bauern, Bürgern und Markengenossen hüben und drüben bekannt sein, damit diese wußten, wie weit ihre Rechte reichten. Hierzu wurde der Schnadgang durchgeführt.

Jungen Leuten wurde die Schnad oft recht eindringlich bekannt gemacht. Daß das Jägerhorn auf dem Schnadstein geblasen wurde und etliche Salven aus den Flinten abgegeben wurden, damit die Jungen sich später noch an Ort und Stelle erinnerten, war noch harmlos. Es kam aber auch vor, daß die jungen Bauern am Schnadstein tüchtig verprügelt wurden oder an Arm und Beinen festgehalten mit ihrem Hosenboden kräftig auf den Stein gestoßen wurden, damit die Erinnerung an Schmerz und Grenzstein bei den weiteren Schnadgängen im Gedächtnis blieb.
 

Stutzäsen in Brilon "Da wurde ihm gestutzt der Äs, 
daß er den Grenzstein nicht vergäß"

Die Schnadgänge verloren mit der Teilung der gemeinen Marken, der Verkoppelung der Grundstücke und mit der Aufstellung des Grundsteuerkatasters ihren Zweck und ihre Berechtigung, sie wurden überflüssig. Infolgedessen wurden sie in einer Verfügung des preußischen Innenministeriums vom 6. Juli 1817 zwar noch gestattet, aber nicht mehr für notwendig erklärt. Einige Jahre später wurden sie dann gänzlich verboten. Die Regierung zu Arnsberg verfügte dies, wie oben zu lesen, am 3. Februar 1841.


Schnadelied

Es zieht hinaus der Schnadechor,
Das alte Banner wallt empor,
Die Musik spielt, die Flinte knallt,
Die Trommel tönt, das Jagdhorn schallt.

Geschart zu Fuße und zu Roß
Zieht in den Wald der ganze Troß,
Bergauf, bergab, zum Schnademal
Auf Bergeshöh, im tiefen Tal.

Trotz Sonnenschein und heißer Glut,
Trotz Windessturm und Regenflut
Zieht man die alte Schnade heut,
Wie es der Väter Brauch gebeut.

Und bei dem alten Schnadestein
Sieht man ins alte Buch hinein,
Dann genau verzeichnet steht,
Woher die rechte Schnade geht.

Wenn dann die Schnade ist vollbracht,
Wenn nichts gelassen außer acht,
Was alter Brauch und Sitte war,
Zieht fort zum Lagerplatz die Schar.

Hier stärket man die Lebenskraft
Mit edlem Trunk vom Gestensaft,
Man leeret alle Fässer aus
Und kehrt mit Eichenlaub nach Haus.

Jetzt mit dem Banner hoch zu Roß
Rückt durch das Tor der Schnadetroß,
Und auf dem Markt mit Jubelschall
Begrüßen ihn die Bürger all.
 

(Aus Heimatkalender: "De Suerlänner" 1953,
Verfasser nicht bekannt.)



Stand: 10. Juni 2008