Die Familie Glier in Warschau


Friedrich Wilhelm Glier

* 7. Januar 1812 in Klingenthal
+ 24. Juli 1899 in Warschau

Aufgewachsen in Klingenthal und Untersachsenberg erlernte er vermutlich bei seinem Vater Johann Gottlieb Glier (*1777 +1840) das Handwerk des Waldhornmachens. Friedrich Wilhelm verließ Untersachsenberg und ging nach Warschau. Er war Gründer der bis zum 2. Weltkrieg in Warschau bestehenden Blasinstrumentenfabrik. Um das Jahr 1834 lernte und arbeitete er in der Warschauer Musikinstrumentenfabrik von Wilhelm Johann Wernitz. Im Jahr 1835 gründete er seinen eigenen Produktionsbetrieb in Warschau Bednarska Str. 2673. Der Betrieb wurde zweimal verlegt: um 1865 in die Nowy-Swiat-Str. 1293 (26), um 1890 in die Aleja Roz (Rosenallee) 4.
 

 

Briefkopf der Firma Alexander Glier, Warschau 1901

Fabrik Musikalischer Instrumente
Alexander Wilhelm
Glier
vormals Wilhelm Glier
existiert seit 1835, Rosenallee 4, Warschau  

In der Warschauer Austellung 1845 präsentierte er einen für das 1. Pionier-Reserve-Bataillon für 2300 Rubel bestellten Satz Blasinstrumente mit Kolbenventilen. Er bestand aus 48 Instrumenten, Kornette, Alt-Bügelhörner, Bässe (Tuben). Im Jahre 1860 stellte er für das Noworossijsker-Dragoner-Regiment 25 Instrumente für 950 Rubel her.

Im Jahr 1864 wurde Wilhelm Glier auf eine Anzeige hin verhaftet und mußte wegen Verkauf irgendwelcher Pfeifen an polnische Aufständische (Januaraufstand gegen Rußland 1863-1864) 308 Rubel Strafe zahlen. In jener Zeit beschäftigte er auch Geigenbauer. Daher schreiben ihm manche Forscher (u.a. Z.Szule) fälschlich ein Können auch in der Geigenbaukunst zu. Im Jahre 1880 beschäftigte sein Betrieb 8 Instrumentenbauer und die Jahresproduktion wies den Wert von 6290 Rubel auf. 1887 bei etwa derselben Arbeiterzahl belief er sich auf 7000 Rubel. Ein Jahr später (1888) wurde der Betrieb Gliers mit einer goldenen Medaille "für Arbeitsamkeit und Kunst" ausgezeichnet. In der Warschauer Metallwaren-Ausstellung 1895 erhielt er die Große Goldmedaille.

Aus der Ehe mit Juliana Glier, geb. Woroniecka, hatte er drei Söhne (Hornmachermeister): Adolf, Friedrich und Alexander. Der letzte erbte die Firma des Vaters. Wilhelm Glier wurde auf dem evangelisch-lutherischen Friedhof in Warschau bestattet (Grabdenkmal 27, Gang 10). In Bate Collection (Oxford, England) befindet sich ein Dreiventil-Horn mit dem Signum: "Wm Glier Fabrika v Varsavie s 1835".

Grab von Wilhelm Glier (Gesamtansicht) in WarschauGrab von Wilhelm und Alex Glier in Warschau

Grab von Wilhelm und Aleksander Glier auf dem evangelischen Friedhof (Cm. Ewang.-Augsburski)
in der Mlynarska Straße 54,56,58 in Warschau


HOCHWOHLGEBOREN
WILHELM
GLIER
FABRIKANT u.  BÜRGER in WARSCHAU
GEB. 7. JANUAR 1812    GEST. 24. JULI 1899 
___________

FRIEDE SEINER SEELE
___________

DURCH SEINE UNERMÜDLICHE ARBEIT
MACHTE ER SICH IN DER ERINNERUNG VERDIENT
EHEFRAU u. KINDER, DIE DICH HEUTE VERLOREN HABEN,
BETEN FÜR DICH IN STILLER TRAUER

HOCHWOHLGEBOREN

ALEKSANDER GLIER
GEB.  4. DEZEMBER 1849 
  GEST. 29. DEZEMBER 1912


[Inschrift der Grabplatte]
+
HOCHWOHLGEBOREN
WILHELM GLIER

LEBTE 29 JAHRE
GEST. 4. AUGUST 1903

EHEFRAU u. KINDER BETEN IN TRAUER
ZU GOTT


Adolf Glier

Adolf lernte das Hornmacherhandwerk bei seinem Vater Wilhelm Glier. Um 1870 ist er als Hornmachergeselle in Warschau, Muronowska Str.8, registriert. Nach kurzer Tätigkeit in Warschau gründete er seinen eigenen Betrieb in St.Petersburg. Nach 1900 zog er nach Klingenthal um, wo er Instrumente hauptsächlich auf Bestellungen aus den Vereinigten Staaten baute. Im Instrumentenmuseum zu Leningrad (Petersburg) befinden sich 2 Klarinetten aus Grenadillholz mit der Signatur: "Adolf Glier / St. Petersburg". 1905 lebte Adolf Glier in Dresden-Niederlössnitz, Schweigerstrasse 5.


Alexander W. Glier

* 4. Dezember 1849 in Warschau
+ 29. Dezember 1912 in Warschau

Alexander absolvierte das Pankiewicz-Gymnasium und das Warschauer Konservatorium in der Klarinettenklasse von Prof. Sobolewski. Den Hornmacherberuf lernte er bei seinem Vater. Er wirkte als Militärkapellmeister in Krementschug (250 km südöstlich von Kiew) und später in Warschau. Er komponierte Märsche sowie andere Musikstücke für Militärblasorchester, u.a. ein bis heute gespieltes Trauerlied aus dem Jahr 1863. Er spielte auch im Orchester der Warschauer Musikgesellschaft (eine für die polnische Musikkultur verdiente Einrichtung). Nach dem Tode seines Vaters übernahm er 1895 dessen seit 1835 in Warschau bestehende Blasinstrumentenfabrik und führte sie 13 Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahre 1912. Im Jahre 1904 verlegte er seine Fabrik in die Nowy-Swiat-Str. 5 und 1908 in die Smolna Str. 3 (Das Fabriklager befand sich in der Jerozolimska Str.72). 1904 beschäftige er 12, 1908  24 Fachleute bei einem jährlichen Umsatz von 35000 Rubel. 1911 und 1912 hatte er mit jeweils 10 Arbeitskräften einen Umsatz von 50000 Rubel jährlich. Für seine Instrumente erhielt er Große Goldmedaillen in drei Ausstellungen: 1895 in Warschau, 1907 in Petersburg und 1909 in Tschenstochau. Sein Sohn Mieczyslaw erbte die Fabrik des Vaters. Alexander wurde ebenfalls auf dem evangelisch-lutherischen Friedhof in Warschau beigesetzt.

Alexander Glier mit seinen Mitarbeitern

Alexander Glier inmitten seiner Arbeiter. Sein Sohn Mieczyslaw steht in der oberen Reihe (7. von links)
 


Mieczyslaw Glier

* 1. März 1886 in Warschau
+ 26. Februar 1979 in Warschau

Im Jahre 1905 beendete er die Realschule und begann das Klavierspiel-Studium am Warschauer Konservatorium, das er 1908 unterbrach. Zugleich lernte er Mathematik bei Prof. Wladyslaw Lewandowski, weil er mit dem Gedanken umging, die Technische Hochschule zu besuchen. Hornmacher lernte er seit 1905 im Betrieb seines Vaters unter der Leitung von Meister Antoni Romanowski. Vor 1914 nahm er Stunden im Klavierspiel bei Prof. Schöne und auf Blasinstrumenten bei seinem Vater. Von 1913 bis etwa 1942 führte er die vom Vater geerbte Fabrik in Warschau, in der Smolna Str. 3, seit 1918 in der Tatrzanska Str. (der Laden befand sich in der Jerozolimska Allee 77) und seit 1921 in der Ksiazeca Str. 15. Vor dem ersten Weltkrieg exportierte er seine Instrumente nach Rußland. Während des Krieges wurden die meisten Materialien sowie Maschinen von den Deutschen beschlagnahmt und Mieczyslaw arbeitete als Kontrolleur in der Versorgungsabteilung des Magistrats Warschau. Zwischen den beiden Weltkriegen erreichte der Betrieb nach und nach seine frühere glänzende Produktionsfähigkeit. Begonnen wurde mit einer Drück-, einer Drehbank und einer Rohrziehmaschine. Schon im Jahr 1920 wurde ein Satz Instrumente für das 1. Chevauleger Regiment in Warschau gebaut. Die Firma beschickte die Ausstellungen 1929 in Posen, 1932 in Warschau, 1934 in Berlin. Dort wurden neun Instrumente mit einer Ehrenurkunde ausgezeichnet und nach der Ausstellung deutschen Musikern verkauft, die ihre Zufriedenheit in später der Firma zugeschickten Anerkennungsschreiben ausdrückten. In New York wurden 1939  17 Instrumente, darunter ein Sousephon, die amerikanische Abart des Helikons, ausgestellt. Der Betrieb beschäftigte zu jener Zeit 25 Arbeiter. Die bis 1935 hergestellten Instrumente trugen die Inschrift: "Warszawska Wytwornia Instrumentow Muzycznych (Warszawa) A.W. Glier (d.h.: Warschauer Musikinstrumenten-Fabrik (Warschau) A.W. Glier). Von 1935 an wurden sie gezeichnet: "M. Glier / Warschau". Es wurden auch Schlaginstrumente für Blasorchester hergestellt. Seit 1935 hatte Mieczyslaw einen Sozius namens Boleslaw Rudzki (GmbH). Während des zweiten Weltkrieges wurde eine Anzahl Instrumente samt einer Menge Materialien von den Deutschen beschlagnahmt und Mieczyslaw nach Tarnow (Südpolen) verwiesen. Im Jahre 1944 wurde die Fabrik und mit ihr die Sammlung von Blasinstrumenten aus dem 19. Jahrhundert total zerstört. Nach dem Krieg war Mieczyslaw Glier einer der Gründer der Instrumentenbauer-Genossenschaft "Ton" in Warschau und Leiter der Abteilung Blasinstrumente. Im Alter von 72 Jahren trat er 1958 in den Ruhestand. Er war mit Maria geb. Michalski (1895-1965) verheiratet. Nach ihrem Tod heiratete er Lidia geb. Sorokin, die in erster Ehe mit Victor Krylow verheiratet war. [Anmerkung: Hier ergibt sich interessanterweise eine Verbindung zu den Gliers in Moskau. Denn Victor Krylow war vor seiner Ehe mit Lidia Sorokin mit Lija Glier, einer Tochter von Reinhold Glier, verheiratet.] Mieczyslaw Glier ruht auf dem Powazki-Friedhof in Warschau.



[Quelle: Beniamin Vogel: instrumenty muszyczne w kulturze Krolestwa Polskiego, PWM Krakow 1980;
Übersetzung: Henryk Glier, Zlotow]

last update: 25. September 1999